Sömmerda/ Thür.

Auszüge aus einer Chronik, die es noch nicht gibt

Gesetze für die Arbeiter in der Fabrik Dreyse & Collenbusch zu Sömmerda

Da der Zweck unserer Fabrikanstalt nicht allein dahin wirken soll, um denen darin beschäftigten Menschen einen guten Verdienst zu verschaffen, sondern auch sie solange sie in unserer Arbeit sind, zu tüchtigen, brauchbaren und ordnungsliebenden Menschen zu bilden, welche sich durch sittliches Betragen auszeichnen sollen; damit das Vorurteil entfernt wird, wie viele geglaubt haben, daß bloß liederliche Menschen und Trunkenbolde in der Fabrik aufgenommen würden. Leider hat oft die Erfahrung gelehrt, daß das Publikum jede hier in Sömmerda vorgefallene Unart für Werke der Fabrikarbeiter ausschreit.
Wir können Euch, wenigen ausgenommen, das Lob geben, daß im verflossenen Jahre, uns durch Euer Betragen mehr Freude gemacht worden ist, als in früheren.
Bedenkt, daß der größte Theil unserer Arbeiter beweibt sind, daß ihr auch mehr Pflichten zu erfüllen habt, deren fernere treue Pflichterfüllung wir aufs Strengste fordern. - Ihr habt alle einen Beruf und Verdienst, wodurch Ihr Euch und Eure Familie anständig ernähren könnt. Benutzt die Zeit, die jeden Arbeiter durch die billigen Preise aller Lebensmittel sehr günstig macht, seit thätig und ordentlich in den Euch angewiesenen Arbeiten, verwendet nichts unnötig und bleibt bey Euren Freuden in den Schranken der Anständigkeit, damit Ihr geachtet von jeden in jeder Gesellschaft gern gesehen werdet. Erfüllt Ihr diese Wünsche, so werdet Ihr uns stets gegen Euch gut geneigt finden.

Um den Zweck zu erreichen, bloß thätige, ehrliche, ordentliche und gesittete Menschen unter die Zahl unserer Arbeiter zu zählen, und ein jeder wünschen muß, als ein solcher bedrachtet und behandelt zu werden; so habt Ihr Euch folgenden Gesetzen zu unterwerfen:


§1.
Ihr gelobt an, die strengste Gewissenhaftigkeit bey dem Euch anvertrauten Guthe zu beobachten; nichts darf Euch bethören auch nur die geringste Untreue an dem untern Händen habenden Gegenständen zu begehen.
Mancher glaubt, daß für Fremde, aus Gefälligkeit gemachte Reparaturen als Hufeisen, Feuerstähle, Eimerringe, welche aus alten Feilen und Eisen gemacht würden, kein Diebstahl ist; dies ist jedoch eine ganz irrige Meynung. Kein Arbeiter hat das Recht von dem ihm anvertrauten oder sonst in dem Arbeitslokal befindlichen Material auch nur das Mindeste für sich oder andere zu benutzen. Eben so ist Pfuscherei Diebstahl an uns. Wir bestimmen daher, daß derjenige Arbeiter, er sey wer er auch wolle, sich nur der allergeringsten Veruntreuung zu Schulden kommen läßt, oder in und außer den gesetzlichen Arbeitsstunden für seinen Hausbedarf oder sonst jemand anders Reparaturen macht und sey sie auch noch so gering, in eine Conventionalstrafe von einen Thaler verfällt.

§2.
Ist der Gegenstand über 8 Groschen so ist die Strafe von Zwey Thaler verwirkt.

§3.
Bey zweiten Vergehen ist unausbleibliches Ausscheiden aus der Fabrik.

§4.
Jeder rechtliche und ehrliebende Arbeiter muß, wenn ihm an seiner Ehre gelegen ist, darauf sehen und es sich zur strengsten Pflicht machen, Beeinträchtigungen anderer den Fabrikherren sofort anzuzeigen.

§5.
Verheimlichung der Art wird, als sey sie von ihm selbst geschehen angenommen, und zieht die halbe Strafe nach sich.

§6.
Derjenige Arbeiter, welcher zur bestimmten Zeit noch nicht an seiner ihm angewiesenen Arbeit ist, zahlt Zwey g Groschen Strafe.

§7.
Wenn ein Arbeiter ohne Erlaubnis einer der Fabrickherren oder Werkmeister seine Arbeit auf einen halben Tag verläßt, zahlt Zwey g Groschen. Wer einen Tag von der Arbeit bleibt, Vier g Groschen.

§8.
Acht g Groschen zahlt derjenige Arbeiter, der die ihm angewiesene Arbeit nicht verrichtet, oder auch nur unhöflich gegen einen der Mitarbeiter ist.

§9.
Jeder Arbeiter ist verbunden seine Werkstätte vor Feierabend zu reinigen, und jedes Stück brauchbare Eisen abzuliefern, oder zusammen zu legen, wer dies unterläßt zahlt Zwey g Groschen zur Kasse.

§10.
Wen die Reihe des Auskehrens am Werk oder Sonntags trifft und das Kehrig von brauchbaren Eisen pp. nicht gehörig absondert, zahlt, wenn er überführt wird, Zwey g Groschen Strafe. Will es keiner der Auskehrer gewesen seyn, so zahlt jeder Einen g Groschen Strafe.

§11.
Wenn einer der Arbeiter, welcher zu Auskehren des Sonntags Morgens (wo er im Winterhalbjahr 8 Uhr, im Sommerhalbjahr 61/2 Uhr erscheinen muß) benennt ist, nicht erscheint, zahlt an diejenigen, welche das Geschäft für ihn besorgen, Zwey g Groschen.

§12.
Alle Bedürfnisse welche die Arbeiter den Tag über haben, müssen während des Frühstücks oder Mittag herbeigeschafft werden, damit jeder ruhig bei seiner Arbeit bleiben kann. Wer außer dieser Zeit ohne Erlaubnis von seiner Arbeit geht, und sey es auch einige Minuten, zahlt Zwey g Groschen Strafe.

§13.
Bescheidenes und höfliches Betragen wird zur strengsten Pflicht gemacht. Kein Arbeiter darf die gebührende Achtung gegen andere als auch gegen die Fabrickherrn außer Augen lassen.
Eben so fordern wir unbedingten Gehorsam und gutes Betragen gegen unsere Werkmeister, weil diese dafür verantwortlich sind, besonders aber auch, daß die ihnen übergebenen Arbeiten genau nach Vorschriften gefertigt sind. - Sie stehen in unserem Namen und es ist daher jeder Arbeiter verbunden zu thun was ihnen von denselben befohlen wird.
Wir haben das Vertrauen zu den Werkmeistern, daß sich keiner, weder einer Partheilichkeit oder anderes Unrecht zu Schulden kommen läßt.
Sollte daher der Arbeiter in der Meynung seyn, daß ihm zu viel geschehe, so steht ihm der Weg offen, sich bey uns zu beschweren, wir werden jede gerechte Klage anhören, ernstlich untersuchen und abhelfen.

§14.
Wenn der Arbeiter grob oder unhöflich ist, verfällt er in eine Strafe von Zwoelf g Groschen; ändert er sein Betragen nicht, zahlt er einen Thaler und beim dritten Vergehen scheidet er ohne Umstände aus.

§15.
Wie schon oben gesagt, ist jeder Arbeiter verbunden die übertragene Arbeit genau nach der von dem Werkmeister vorgelegten Probe zu fertigen und jedes einzelne Stück genau darnach abzuliefern. Liefert ein Arbeiter nicht sogut ab, so erhält er solche zur besseren Umfertigung zurück; gibet er aber dann die Ware in nicht besserem Zustande ab, so erhält ein anderer Arbeiter dieselbe zum Umarbeiten und den völligen, nach der Tabelle bestimmten Lohn.

§16.
Sollte eine Arbeit vorkommen, wo der Lohn dafür auf der Tabelle nicht deutlich ausgedrückt ist, so hat der Arbeiter sich nicht daran zu kehren, er liefert die Arbeit nur gut und probemäßig ab, wo ihm dann ein Lohn zu Theil wird, wobei er bestehen kann. Sollte aber der Arbeiter aus Eigensinn die Arbeit schlechter machen, wo wir wissen, daß er jene Arbeit gut zu machen fähig ist, so erhält er solange keine andere Arbeit bis er gute liefert.
Überhaupt darf über die Arbeit nicht raisoniert werden, und jeder ist verpflichtet, jede Arbeit die in sein Fach schlägt zu machen.

§17.
Streitigkeiten unter den Arbeitern selbst, so wohl in als außer den Arbeitsstunden dürfen durchaus nicht vorfallen, hat einer etwas gegen den anderen, so hat er es uns anzuzeigen wo dem Beleidiger die Strafe nach Verhältnis der Sache von uns bestimmt wird. Derjenige Arbeiter der den Zank anfängt, zahlt Zwoelf g Groschen Strafe sollte es gar zur Brügelei kommen, so zahlt jeder Theilnehmer Einen Thaler.
Dieses Betragen soll auch entfernt werden, wenn sie nicht in der Arbeit sind. Jeder Arbeiter soll sich bey Tanz und Spiel als gesitteter Mensch betragen, nie Veranlassung zu Streitigkeiten geben noch weniger sich schlagen, widrigenfalls er in obenerwähnte Strafe verfällt.

§18.
Wer sich während der Arbeitsstunden besäuft, wird mit Acht g Groschen bestraft, desgleichen wer außer den Arbeitsstunden betrunken erscheint.

§19.
Wird einer der Arbeiter unschuldig in Zank und Brügelei verwickelt, so ist es die Pflicht eines jeden Mitarbeiters ihm beizustreben, jedoch alles zu vermeiden die Gemüther durch Schimpfen noch mehr zu reizen, sie haben darauf zu sehen, daß sie den Beleidigten fortbringen um größeren Unfug vorzubeugen.

§20.
Das zu lange, bis spät in die Nacht herumtreiben, darf nicht geschehen. 10 Uhr gehört jeder ordentliche Mensch in seine Wohnung. Ausnahmen finden wohl statt, doch zur Regel darf es nicht werden.
Wir machen es jeden Arbeiter zur besonderen Pflicht darauf zu sehen, daß keine der erwähnten Unarten geschehen. Jeder ist verbunden den Betrunkenen fort und zur Ruhe zu bringen, und verfällt im Übertragungsfalle in eine Strafe von Acht g Groschen.

§21.
Wir haben zwar den Arbeitern erlaubt, auch während der Arbeitsstunden Taback zu rauchen, jedoch erheischt es auch die Achtung welche jeder Arbeiter gegen seinen Brodherrn schuldig ist, daß er wenn er von ihm angeredet wird, so lange seine Pfeife aus dem Munde thut und das Rauchen unterläßt. Eben so wenn Fremde eingeführt werden. Das Rauchen aus Pfeifen mit nicht verschlossenen Deckel ist bey Sechs g Groschen Strafe verboten. Wer mit einer Pfeife ohne Deckel über den Hof gehet zahlt Zwoelf g Groschen Strafe.

§22.
Da, wie schon bekannt, ohne ausdrückliche Erlaubnis niemand wer es auch sey, in die Arbeitslokale gehen darf, so machen wir es hiermit jedem Arbeiter zur Pflicht, jeden Eintretenden bescheiden zurückzuweisen. Entfernt derselbe sich bey einer artigen Zurückweisung nicht, so soll jeder Arbeiter verbunden seyn den Zudringlichen die Thüre zu weisen.

§23.
Der Arbeitssaal links ist für weibliche und der Arbeitssaal rechts für männliche Arbeiter bestimmt. Kein männlicher Arbeiter darf bey einer Strafe von 8 g Groschen in den weiblichen Arbeitssaal, es müßten ihm Geschäfte zu dem Werkmeister führen, dann hat sich aber derselbe ruhig an dessen Werkstätte zu verfügen, und darf sich durchaus in kein Gespräch mit einer Arbeiterin einlassen, wer dagegen handelt zahlt Vier g Groschen Strafe.

§24.
Unsittliche Reden oder wohl gar handgreifliche Liebeserklärungen werden ohne Widerruf mit einem Thaler bestraft.

§25.
Mädchen von üblen Ruf werden nicht geduldet, läßt sich ein Mädchen in unerlaubten Umgang mit einem Arbeiter ein, so wird selbige augenblicklich entfernt.

§26.
Das Nachhausegehen geschieht in Abteilungen. Die Mädchen verlassen zu erst das Arbeitslokal und gehen ruhig ihren Weg; 1/4 Stunde später gehen die Arbeiter, damit jedes Zusammentreffen vermiethen wird, sucht dieses eines von beyden Geschlechtern absichtlich, so ist eine Strafe von Zwoelf g Groschen verwirkt.

§27.
Die alten Arbeiter sind angewiesen, die jüngeren bey jeder Gelegenheit in Ordnung zu halten und ihr Unart zu verweisen, gehochen sie nicht, so ist ohne Umstände uns Anzeige davon zu machen und zahlt im Unterlassungsfalle Acht g Groschen Strafe.

§28.
Die jüngeren Arbeiter gehören gar nicht in die Zechhäuser, noch weniger am Spieltisch, wollen sie des Sonntags ein Glas Bier trinken, so mögen sie es ruhig thun ist aber 10 Uhr einer von ihnen noch im Zechhause anzutreffen, so zahlt derselbe Acht g Groschen Strafe. Sich unter die Tanzenden zu mischen paßt für dieselben nicht und besser ist es überhaupt sie bleiben zu Hause.

§29.
Diejenigen, welche sich auf den Straßen herumtreiben, werden mit vier g Groschen bestraft. In gleiche Strafe fallen diejenigen, welche bei dem Nachhausegehen schreuen pp. und Ungezogenheiten treiben, verfallen in gleiche Strafe.

§30.
Das Spielen um Geld dulden wir durchaus nicht, es ist ein Laster und führt junge Leute ins größte Verderben. Der Übertretende dieses Paragraphs wird jedesmal streng bestraft.

§31.
Sämtliche eingehenden Strafen fließen zu der Krankenkasse.

§32.
Jeder Arbeiter und Arbeiterin werden angehalten, alle Sonntage wenn nicht besondere Gründe sie davon abhält, den Gottesdienst zu besuchen, und wenigstens jährlich einmal das heilige Abendmahl zu empfangen. Gute Menschen mit religiösem Gefühl, dürfen durch Strafen nicht dazu gezwungen werden. Der freye Wille muß hier leiten und die Bessern sollen mit gutem Beyspiel vorangehen.

§33.
Jeder Arbeiter muß jede Woche die Leibwäsche wenigstens einmal wechseln und jeden Tage gewaschen und die Haare rein ausgekämmt erscheinen; kommt er schmutzig an seine Arbeit, so wird er von dem Werkmeister zurückgewiesen.

§34.
Wird bey einem Arbeiter Ungeziefer bemerkt, so muß solcher augenblicklich aus dem Arbeiter Saal entfernt werden und darf nicht eher wieder erscheinen, als bis er nach der Untersuchung rein befunden wird.

§35.
Jeden neu aufgenommenen Arbeiter werden die Gesetze vorgelesen, und muß durch Unterschrift und Handschlag versprechen streng darauf zu halten und darnach zu leben.
Will ein Arbeiter oder Arbeiterin abgehen so muß wenigstens 14 Tage zuvor Anmeldung geschehen, geschieht das Ausscheiden ohne Genehmigung, so fällt der noch zu fordern habende Lohn der Krankenkasse zu. Sollte der Arbeiter Vorschuß erhalten haben so unterwirft sich derselbe der polizeilichen Erlation. Vorstehende Gesetze welche uns heute deutlich vorgelesen worden sind, erkennen wir an, und geloben durch Handschlag, uns diesen zu unterwerfen, und unterzeichnen solches mit unserer Namensunterschrift, damit sich keiner mit Unkunde entschuldigen kann.

Soemmerda, den 1. März 1828

Dreyse & Collenbusch


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